Interview im Liedermacher-, Kleinkunst- und Chanson-Magazin „Ein Achtel Lorbeerblatt“

“Ein weiblicher Mani Matter in Baseldeutsch”:

Heiniger trifft… Jacqueline Schlegel

 

Dass der Schweizer – und somit auch die Schweizerin – ein eher gemütliches Wesen haben, lassen sich Markus Heiniger und seine Gesprächspartnerin Jacqueline Schlegel nicht zwei Mal sagen – und platzieren sich zum verbalen Stelldichein gleich einmal vor einem Kaminfeuer, das Weinglas in der Hand. Wohlweislich irrt jedoch der, der anhand pittoresker Begleitumstände glaubt, die beiden bei einschläferndem Gemütlichkeitspalaver ertappen zu können. Ein Dialog über Teufelskreise, Mundartlichkeiten und, tatsächlich, Beethoven in der Schweiz.

 

Markus Heiniger (MH): Hallo Jacqueline

Jacqueline Schlegel (JS): Salü Markus

 

MH: Ich hätte einen Wunsch, wo unser virtuelles Treffen stattfinden könnte.

JS: Wunderbar. Wo denn?

 

MH: In deinem neuen Programm erzählst du im Song „Eventuell“ davon, wie schwer dir manchmal Entscheidungen fallen. In diesem Zusammenhang spielt auch ein Cheminée eine Rolle. Das würde doch passen! Lass uns gemeinsam vor einem knisternden Cheminée-Feuer sitzen.

JS: Das ist eine super Idee. Und am liebsten mit einem  feinen Rotwein dazu. Wie wär’s mit einem Glas Conde de Valdemar?

 

MH: Ja, gerne! Bei Rioja muss ich mir’s nicht lange überlegen. Nun hätten wir also das perfekte Setting geschaffen. Denn in deinem neuen Programm «Träum witer…» geht es ja immerhin um nicht weniger als um “das Zyklische in Beziehungen am Beispiel der Liebe”. Deine Zyklen entpuppen sich dann aber schon bald auch als Teufelskreise. Inwiefern siehst du dich in deinem Programm als Lyrikerin, inwiefern als Kabarettistin?

JS: Ich bin Liedermacherin und singe und interpretiere meine Chansons. Manche davon sind sehr lyrisch, andere eher kabarettistisch. Und so verwischen diese Grenzen. Der Text, das Lied sagt, was es braucht, nicht ich. Bei «Träum witer…» vielleicht manchmal auch noch der Regisseur beziehungsweise der „rote Faden“ des Programms. Mir gefällt es, wenn ein Programm auch unterhaltend ist. Ich bin der Ansicht, dass Humor der fahrbare Untersatz ist, um auch Ernstes oder Ernsteres zu transportieren. Und für meine eigenen Programme nehme ich natürlich meine eigenen Vorlieben als Massstab. Wichtig dabei ist mir immer eine gesunde Portion Selbstironie. Sich selber nicht ganz so ernst zu nehmen, ist wohltuend. Für alle.

 

MH: Ja, deine ganz eigenständige Verbindung von Humor und Melancholie ist es, die mich in deinen Programmen fesselt. Und zusammen mit dir auf der Bühne sitzt und steht der Pianist und Akkordeonist Geert Dedapper. Er sieht das Ganze mit dem “Liebeszyklus” übrigens eher kritisch und schlägt zu Beginn des Abends mit “Russische Musik und Ikonenkunst des

18. Jahrhunderts” ein ganz anderes Thema vor, kann sich damit letztlich aber nicht durchsetzen, sehen wir mal von seinen immer wieder überraschenden musikalischen Einfällen ab. Verstehen sich Männer und Frauen nun auch auf der Bühne nicht mehr?

JS: Auf der Bühne überspitzt man ja die Dinge gern, und als wir mit den Proben begannen, war Geert zuerst tatsächlich etwas skeptisch, was die Wahl der Songs betraf. Und diese Skepsis haben wir dann kurzerhand eingebaut. Doch auch wenn wir nicht immer gleicher Meinung sind, so verstehen Geert und ich uns hervorragend. Ich glaube, das kommt auch auf der Bühne durchaus rüber. Er ist ein umwerfend guter Musiker und wie für die Bühne geschaffen. Ich schätze ihn enorm. Ausserdem haben wir den ähnlichen Humor. Ich bin sehr gern mit ihm unterwegs.

 

MH: Einer meiner beiden Lieblingssongs von «Träum witer…» ist die bluesige Nummer „Lideschaft“. Beim dynamisch, lyrischen, also ironiefreien Besingen des Verschmelzens von Mann und Frau ist schon so manche Peinlichkeit entstanden, doch Du schaffst es, alles zu geben, ohne dein Publikum in irgendeiner Art zu bedrängen. Für mich ist es ein absoluter Gänsehautsong. Am Schluss des Liedes singst du dann “nur noch Ja”. Kaum ist der Schlussakkord verklungen, fragt die Kabarettistin mit Sprechstimme aber sofort: “Fragt sich nur, für wie lange?”. Hält das heutige Kleinkunstpublikum ungebrochene Lyrik einfach nicht mehr aus?

JS: Die Brechung hat in diesem Fall mit der Platzierung des Liedes im Gesamtablauf des Programms zu tun und ist «Träum witer…»-spezifisch. Der Abend hat ja einen Ablauf, einen roten Faden, eine „Geschichte“. Wenn ich das Lied ausserhalb des Programms singe (was gelegentlich vorkommt), gibt es diese „Brechung“ nicht. Sie ist nicht Teil des Liedes. Wenn sie für mich aber beim Schreiben des Liedes wichtig gewesen wäre, gäbe es sie auch sonst. Ob das Kleinkunstpublikum das aushält oder nicht, ist für mich kein Kriterium. Ich bin der festen Überzeugung, dass mein Publikum zu mir finden muss und nicht umgekehrt. Wenn ICH also eine inhaltliche Notwendigkeit für eine Brechung sehe, dann mach ich sie. Sonst lass’ ich’s bleiben.

 

MH: Mein anderer Programm-Liebling „Zweiti Giige“ („Zweite Geige“) ist einer deiner Songs, bei denen ich mich frage, wie du eine umwerfende Nummer wie diese einem deutschen Publikum zugänglich machen könntest. Haben die Deutschen bei dir einfach Pech gehabt, dass ihnen unsere alemannischen Dialekte fremd sind?

JS: Ich befürchte, diese Frage mit Ja beantworten zu müssen.

 

MH: Der Basler Liedermacher Aernschd Born hat nun aber zum Beispiel unlängst sein ganzes Mundartprogramm “Zyt isch do.com” auf Hochdeutsch übersetzt, und den Songs merkt man die Übersetzung nicht an. Könntest du dir so was für dein aktuelles Programm oder auch für deinen Erstling “Bisch parat?” nicht auch vorstellen?”

JS: Beim aktuellen Programm «Träum witer…» kommt das vorläufig überhaupt nicht in Frage. Es ist als Mundart-Programm geschrieben, und als solches soll es jetzt erst mal laufen lernen. Sprich: Als solches möchte ich es jetzt auch einfach mal spielen. Bei «Bisch parat?» könnte ich es mir allenfalls vorstellen. Wobei die Premiére von «Bisch parat?» inzwischen doch schon ein Weilchen her ist. Ich spiele das Programm zwar immer noch gern, aber ob ich tatsächlich Lust darauf hätte, wieder derart intensiv in jenes Programm einzutauchen…? Aber wer weiss… Vielleicht gibt es ja ein nächstes Programm in Hochdeutsch…?

 

MH: Welche Musik, welche Sängerinnen und Sänger haben dich geprägt?

JS: Von der Musik her war und bin ich bis heute sehr vielseitig interessiert. Von gutem Rock zu den grossen, französischen Chansoniers über Klassik zu Klezmer und Worldmusic bis hin zu Blues und Jazz. Diese vielen Einflüsse prägen wohl auch meine eigenen Vertonungen. Auch wenn sie den Rahmen des Chanson-Genres nie ganz verlassen, so sind sie doch sehr unterschiedlich im Musik-Stil und „bedienen“ die ganze Palette. Je nach dem, was der Text halt braucht.

 

In meiner Jugendzeit habe ich Hannes Wader rauf- und runtergehört. Ich mag ihn bis heute sehr. Aufs Alter wird er ja poetischer, was mir aber ebenso gefällt.  Als Künstlerin der eher jüngeren Generation kommt mir als erstes die deutsche Chansonette und Kabarettistin Tina Teubner in den Sinn. In ihren Programmen ist einfach alles drin! Unbedingt hingehen, wenn sie mal in der Nähe spielt. Eine Bereicherung für mich war sicher auch der kritische Austausch mit anderen Lieder machenden in der Akademie für Musik und Poesie «Sago» unter der Leitung von Christof Stählin. Dort hab ich gelernt, worauf man alles beim Liedermachen auch noch achten kann oder gar muss. Habe insbesondere gelernt, konstruktiv zu kritisieren, aber auch, Kritik entgegen zu nehmen und – last, but not least und fast am wertvollsten – ich habe dort gelernt, bei Kritiken die Spreu vom Weizen zu trennen.

 

Weiter gehören für mich als Schweizerin der Schaffhauser Dieter Wiesmann und – schon fast obligatorisch – selbstverständlich der Berner Mani Matter zu den prägenden Musikern bzw. Liedermachern meiner Kindheit. Ich bezeichne Mani Matter gern als Beethoven der Schweizer Liedermacher. Beethoven galt ja als musikalischer „Uebervater“ seiner Zeit. Die nachfolgenden Komponisten hatten es deswegen oft schwer. Beethoven ist selbstverständlich tatsächlich einer der ganz Grossen, aber die romantischen Komponisten sind mit ihrem anderen und eigenen Kompositionsstil garantiert genau so wundervoll.

 

Für die Schweiz wünsche ich mir, dass Mani Matters Andenken zwar weiterhin in Ehren gehalten wird, dass er aber nicht für „immer und ewig“ die praktisch einzige Referenz bleiben möge. Das treibt manchmal seltsame Blüten. So hat z.B. eine Zeitung mal über mich geschrieben: „Ein weiblicher Mani Matter in Baseldeutsch.“ Ich verstehe, dass der Journalist es „gut meinte“, doch im Grunde ist es doch einfach absurd. Es gibt doch eine Zeit danach!!! Mit vielen spannenden und guten Liedermachern und Liedermacherinnen. Jede und jeder auf seine oder ihre Art und mit eigenen, tollen und treffenden Adjektiven!

 

MH: Du singst in deinem Programm Baseldeutsch, diesen ganz eigenständigen Dialekt, der sich am Rheinknie zwischen den niederalemannischen Dialekten der Badener und der Elsässer einerseits und den hoch- und höchstalemannischen Dialekten sowie dem Walserischen der Eidgenossen andererseits entwickelt hat.

JS: Es ist einfach meine Sprache. Ich bin damit aufgewachsen. Ich sehe mich aber in keiner Art und Weise als Botschafterin dieses Dialekts. Meine Liebe und Passion gelten dem Texten. Ich bin Poetin und Liedermacherin. Ich schreibe halt einfach in jener Sprache, die mir am vertrautesten ist und in der ich am leichtesten die richtigen Sprachbilder finde. Das ist bei mir Baseldeutsch. Wenn ich in Zug aufgewachsen wäre, schriebe ich wohl Lieder im Zuger Dialekt…

 

MH: Wenn ich als Junge den Basler Kabarettisten César Keiser hörte, war ich der festen Überzeugung, Baseldeutsch sei eine Hochsprache. Was er sagte, war präzise, tiefgründig, bewegend und elegant zugleich. Ähnliche “Gültigkeit” erreichte bei mir der Dialekt, wenn Ruedi Walter in den 1980ern auf Baseldeutsch seine ernste Rolle in “Warten auf Godot” spielte. Wenn du nun einfach sagst, du sängest halt in der Sprache, die du am besten kannst, ist das bestimmt nicht die ganze Wahrheit, um nicht zu sagen: tiefgestapelt oder zumindest ein Understatement. Welche Möglichkeiten liegen deiner Ansicht nach speziell im Baseldeutschen?

JS: Ja, Cés Keiser war ein fantastischer Sprach-Jongleur. Aber das wäre er bestimmt in jeder Sprache, die seine ist, gewesen. Es ist ja der Inhalt, der zählt.

 

MH: Da höre ich Marcel Reich Ranicki, wie er in seinem Literarischen Quartett einmal trotzig zornig in die Runde wetterte: “Die Sprache iffft der Inhalt!”

JS: Es tut mir leid, aber Du wirst nichts Anderes von mir hören. Ich finde WIRKLICH, dass Baseldeutsch keine „exklusiven“ Möglichkeiten bietet. Keine, die andere Sprachen oder Dialekte nicht auch bieten könnten. Ich finde, JEDE Sprache kann poetisch sein. Aber klar, bei einer Sprache, die offiziell nur gesprochen wird – was ja bei allen Dialekten der Fall ist – braucht es vielleicht manchmal etwas mehr Sitzleder, um jene Sprachbilder zu finden, die exakt das ausdrücken, was man ausdrücken möchte. Aber Liedermachen ist nun mal auch ganz trivial eine Arbeit. Man braucht das nicht zu verklären. Inspiration ist nur ein kleiner Teil davon.

 

MH: Also könnte man sagen, die Sprache, die uns am vertrautesten ist und in der wir am leichtesten unsere eigenen Sprachbilder finden, wie du sagst, ist paradoxerweise doch nicht immer die, in der es sich am leichtesten schreibt?

JS: Nein, tatsächlich nicht immer…

 

MH: Du singst ja nicht nur Deine eigenen Lieder, sondern auch Lieder in anderen Sprachen. Deutsche und französische Chansons, irische Songs, aber vor allem auch immer wieder jiddische Lieder. «In Hartsn brent a Fajer» hiess eines Deiner jiddischen Liederprogramme. Was ist das für ein Funke, der das jiddische Feuer in Deinem Herzen entzündet hat?

JS: Das war bei mir einfach Liebe auf das erste Lied. Für mich sind die jiddischen Lieder 100%ig Herzensmusik. Ich liebe die jüdische Weise, über die Dinge des Lebens zu sinnieren, ihren Humor, ihre Ernsthaftigkeit, ihre Verletzlichkeit und Stärke und die Art, wie das alles einen Platz – und zwar für mein Gefühl genau den richtigen – in den Liedtexten findet. Die musikalischen Skalen sprechen mich an und die zum Beispiel oft eher schlicht gehaltenen Melodien der überlieferten Traditionals, lassen viel Raum beim Arrangieren. Wobei auch da gilt: Prima la parola! (Zuerst das Wort!). Die Musik muss für mich bei Liedern mit Text immer dem Text dienen. Bei reinen Instrumental-Stücken ist die Freiheit des Musikers sicher viel grösser. Sobald Text dabei ist, gelten aber halt meiner Ansicht nach etwas andere Massstäbe.

 

MH: Eine Walliser Germanistikstudentin erzählte mir einmal, das Nebenfach Mittelhochdeutsch sei für sie als Schweizerin viel einfacher zu bewältigen als für Deutsche. Kommt dir dein Dialekt auch beim Jiddischen entgegen?”

JS: Es ist richtig, dass Jiddisch ebenfalls (wie das Hochdeutsche und das Schweizerdeutsche) dem Mittelhochdeutschen entstammt. Mit slawischen und hebräischen und – bei den nach Amerika ausgewanderten Poeten – auch verjiddischten englischen Leihwörtern drin. Jiddisch ist eine völlig eigenständige Sprache. Ich denke, das Schweizerdeutsch kommt dem Jiddischen vor allem bei der Aussprache entgegen. In der jiddischen Sprache ist nämlich der „ch“-Laut ungefähr gleich häufig vertreten wie in den meisten Schweizer Dialekten.

 

MH: Übrigens die Schotten, die können es ja auch aussprechen, das “ch”. Loch Ness etwa sprechen die gleich aus, wie bei uns die Zürcher ihr berühmtes “Chuchichäschtli” (kleiner Küchenschrank).

JS: Dieser etwas spezielle Laut stellt für uns Deutschschweizer natürlich absolut kein Problem dar und ist zu Beginn wohl ein stets wiederkehrender Aussprache-Stolperstein für die Deutschen. Aber wenn man’s mal hat, hat man’s.

 

MH: Herzlichen Dank für dieses Gespräch und den feurigen Rioja, Jacqueline!

JS: Bitte, gerne!

 

KURZ-BIOGRAPHIE

Jacqueline Schlegel ist Liedermacherin, Poetin, Sängerin, Erzählerin und Chansonnière. Sie hat an der Musikhochschule Luzern studiert und abgeschlossen. Sie ist Mitglied der Akademie für Poesie und Musik «Sago» und singt und spielt in den Bereichen Chanson, Erzähltheater und Worldmusic.

Zurzeit ist die Baslerin Solo unterwegs mit den Programmen:

«Häxe, Häxe» - Gedichte, Geschichte(n), Mythen, Legenden & Lieder,

«Peters Doppelleben – Geschichten, Gedichte und Lieder zur stillen Nacht» (ein Adventsprogramm)

«Träum witer…», ihrem zweiten Programm mit eigenen Chansons in Basler Mundart

und ausserdem natürlich immer wieder mit verschiedenen individuellen «Lied & Poesie»-Programmen

Jacqueline Schlegel lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Zürich und auf diversen Schweizer Kleinkunstbühnen. www.jacquelineschlegel.ch

 

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